AG Medical Anthropology

Seminar:

Urban Health

Herbstsemester 2008

Dr. Peter van Eeuwijk (pietve@access.unizh.ch)
Universität Zürich, Ethnologisches Seminar

 

Wir leben in einer sich schnell urbanisierenden Welt. Im Jahre 2030 werden schon mehr als 60% der Bewohner dieser Erde in einem städtischen Umfeld wohnen. Dabei werden Zweidrittel der urbanen Weltbevölkerung in Städten in Ländern des Südens leben. Urbanisierung ist per se nicht als negativer Prozess zu betrachten: er kann zum Beispiel zu neuen sozialen Mustern der Familien- und Verwandtschaftsstruktur, zu neuen ökonomischen Möglichkeiten, zu neuen Lebensstilen und zu neuen Merkmalen des sozialen Status führen. Dabei ist die Vielfalt der verschiedenen Formen dieser Lebenswelten ein prominentes Kennzeichen des städtisches Umfeldes. Doch Urbanisierung kann sich schädigend entwickeln, wenn sie sich als unkontrollierter Prozess in Städten mit schwachen lokalen Behörden und schlechter Regierungsführung abspielt.

Das Bild des urbanen Raumes und der Gesundheit in Ländern des Südens wurde bis vor rund 15 Jahren durch reine Stadt-Land-Vergleiche und durch einige Forschungen in Slum-Gebieten geprägt. Unter dem starken Einfluss der ‚Primary Health Care‘-Bewegung ab 1978 haben sowohl GesundheitsplanerInnen und -anbieterInnen als auch Regierungen den ländlichen Raum und dessen Bevölkerung in den Dörfern als ihr prioritäres Entwicklungsziel betrachtet. Erst seit rund 10 Jahren wissen wir anhand von Lokalstudien in Städten, dass in vielen Ländern des Südens der Gesundheitszustand der urbanen Bevölkerung und deren Zugang zu Gesundheit (wie der Zugang zu sauberem Wasser oder zu regelmässiger Abfallentsorgung) weitaus schlechter sind als derjenige der Landbevölkerung. Diese strukturellen Nachteile sind umso deutlicher bei einkommensschwachen StadtbewohnerInnen festzustellen. Heutzutage richtet sich der medizinethnologische Blick vermehrt etwa auf intraurbane Gesundheitsdisparitäten, auf städtisches Gesundheits- und Krankheitshandeln und auf die wichtigen rural-urban-Beziehungen bezüglich Gesundheit.

Gesundheit in den Städten des Südens zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist vom Prozess der ‚Health Transition‘ (‚Gesundheit im Wandel‘) nicht abzukoppeln. Darunter fallen etwa die epidemiologische Veränderung, der demographische Wandel und die Veränderung des Lebensstiles. Diese wichtigen Transformationen, zu denen auch die zunehmende Urbanisierung und Migration zählen, manifestieren sich im Moment insbesondere in den urbanen Zentren des Südens und führen zu multiplen ‚burdens of disease‘.

Armut ist weiterhin einer der wichtigsten Gründe für den unbefriedigenden Gesundheitszustand und die schlechte Lebensqualität vieler städtischer Bevölkerungsteile. Wir werden in dieser Veranstaltung den differenzierenden Blick auf den Grad der Verletzlichkeit (‚vulnerability‘) städtischer BewohnerInnen gegenüber Gesundheitsrisiken schärfen. Im Hinblick darauf achten wir auch auf die Stärkung der Resilienz bezüglich Gesundheit und Krankheit, also auf die Fähigkeiten, Ressourcen und ‚capitals‘, die vulnerable urbane Individuen und soziale Gruppen besitzen. Hier stellt sich die Grundfrage, warum einige urbane Bewohner diese Qualitäten aktivieren, während andere unter den gleichen Bedingungen dies nicht können.

Der Bereich der ‚Urban Health‘ verlangt auch ein Überdenken und Neudefinieren von herkömmlichen ethnologischen Begriffen wie etwa derjenige der ‚community‘ und ihrer geänderten Zusammensetzung und Bedeutung oder des Haushalts und seiner neuen Strukturen. Heterogenität ist ein wichtiges Merkmal urbaner Gesellschaften, uns vertraute Zuordnungskriterien wie Ethnie, Blutsverwandtschaft und Territorium treten zu neuen Zuschreibungsmerkmalen wie Bildung und Vermögen hinzu.

Damit soll aber auch deutlich aufgezeigt werden, dass die Gründe und auch die Lösungen für die meisten Gesundheitsprobleme in den Städten des Südens ausserhalb der formellen Gesundheitsfürsorgesysteme liegen und zu suchen sind. Zudem führen nur interdisziplinäre Ansätze zu realen Lösungen.

Einführende Literatur:

  • Atkinson, Sarah, Jacob Songsore and Edmundo Werna (Eds.). 1996. Urban Health Research in Development Countries. Implications for Policy. Wallingford: Cab International.
  • Galea, Sandro and David Vlahov (Eds.). 2005. Handbook of Urban Health: Populations, Methods, and Practice. New York: Springer.
  • Hannerz, Ulf. 1980. Exploring the City: Inquiries Toward an Urban Anthropology. New York: Columbia University Press Harpham, Trudy and Marcel Tanner (Eds.). 1995. Urban Health in Developing Countries: Progress and Prospects. London: Earthscan.
  • Harpham, Trudy and Catherine Molyneux. 2001. ‚Urban Health in Developing Countries: A Review‘. Progress in Development Studies 1 (2):113-137.
  • Obrist, Brigit and Peter van Eeuwijk (Eds.). 2003. ‚Afflictions of City Life: Accounts from Africa and Asia‘. Special Issue of Anthropology and Medicine 10 (3).
  • World Health Organization (Ed.). 1993. The Urban Health Crisis: Strategies for Health for All in the Face of Rapid Urbanization. Geneva: World Health Organization.