AG Medical Anthropology

Ethik

Arbeitsgruppe Medical Anthropology der Deutschen Gesellschaft für Sozial- und Kulturanthropologie (DGSKA e.V.)

Leitlinien zur ethischen Selbstreflexion/ Ethikerklärung der AG Medical Anthropology der DGSKA im Bereich Medizinethnologie

 

Hintergrund und Ziele

Jede Art von ethnologischer Forschung über Gesundheit, Krankheit und Heilung wirft komplexe ethische Probleme auf. Durch ihre transkulturelle sowie ihre transdisziplinäre Problemstellung bewegt sich die Medizinethnologie in einem Feld, in dem ethische Maßstäbe für „gute“ und „schlechte“ Praktiken teilweise offen oder unklar erscheinen, und oftmals neu definiert werden müssen. Im Kontext einer zunehmenden Teilnahme von Ethnolog/inn/en an Forschungen, die auf eine aktive und geplante Veränderung der Lebenswelt anderer Menschen zielen, haben sich die Anforderungen an die ethische Selbstreflexion von Medizinethnolog/inn/en deutlich erhöht. Medizinethnologisches Forschen findet statt in einem Spannungsfeld aus eigenen Einstellungen, Überzeugungen der Informant/inn/en, und komplexen sozio-politischen Interessensstrukturen. Die ethischen Dimensionen medizinethnologischen Forschens sind nicht immer unmittelbar erkennbar.

Ziel dieser Ethikerklärung ist es, Ethnolog/inn/en, die in akademischen, außerakademischen und angewandten Bereichen über Gesundheit, Krankheit und Heilung forschen, Leitlinien der ethischen Selbstreflexion anzubieten. Diese sollen helfen, die spezifischen Umstände ethnologischer Forschung – im Gegensatz zu medizischen Forschungen – zu reflektieren. Darüber hinaus bleiben auch diese Leitlinien selbst Objekt stetiger Reflexion innerhalb der AG Medical Anthropology. Sie sollen insbesondere vor dem Hintergrund konkreter Erfahrungen, und den Ergebnissen der entsprechenden Reflexionen in konkreten Konfliktfällen, weiter entwickelt werden.

 

Für eine ethisch verantwortliche Forschung

Als ethisch verantwortlich kann nur solche Art von Forschung gelten, die sich über ihre eigenen theoretischen und methodologischen Grundlagen bewusst zu werden versucht. Diese Bewusstwerdung sollte sich sowohl auf Folgen im akademischen Bereich, wie auch im außer-akademischen Bereich, beziehen. Zu einer ethisch verantwortlichen Forschung gehört eine reflexive Auseinandersetzung mit der eigenen sozialen Position in allen Phasen der Forschung, insbesondere mit Gender-Rollen und ethnischen Zugehörigkeiten. Eigene Einstellungen sollten möglichst offen dargelegt werden. Die ethischen Standards einer Forschung können nicht unmittelbar nach ihrem institutionellen Kontext, ihren Auftraggeber/inne/n oder ihren Finanzierungsquellen beurteilt werden. Für schwierige Forschungen sollte eine professionelle Supervision in Betracht gezogen werden.

 

Verantwortlichkeit gegenüber den an der Forschung beteiligten Personen:

Der respektvolle Umgang mit an der Forschung beteiligten Personen (Forschungspartner/innen, sog. Interviewpartner/innen, Familie und Umfeld der Forschungspartner/innen) sollte im umfassendsten Sinn geübt werden. Dass die an der Forschung beteiligten Personen keinen Schaden erleiden, hat oberste Priorität. Ziele, Methoden und Finanzierungsquellen der Forschung sind ihnen gegenüber offen zu legen. Die Forschung sollte erst beginnen, wenn die Beteiligten und Betroffenen mit dem Forschungsplan zufrieden sind. Die Freiwilligkeit der Teilnahme an der Forschung ist sicher zu stellen. Der/die Forscher/in sollte aktiv nach den Wünschen der an der Forschung Beteiligten fragen. Es ist klar zu legen, dass sich diese keine irreführenden Vorstellungen von der Reichweite der Forschung machen. Auf die Grenzen der eigenen Forschung sollte hingewiesen werden, insbesondere hinsichtlich erhoffter Verbesserungen der Lebenslage der Informant/inn/en. Es ist abzuklären, ob die Anonymität der Person der Interviewpartner/innen gewünscht wird. Im Zweifelsfall ist die Anonymität, besonders zum Schutz von Dritten, vorzuziehen. Der Informed Consent der Interviewpartner/innen und Forschungsbeteiligten stellt einen dynamischen Prozess dar, der sich von Anfang bis Ende durch ein Forschungsvorhaben zieht und sich je nach Umständen ändern kann. Eine Bereitschaftserklärung der Interviewpartner/Innen muss nicht schriftlich vorliegen, das persönliche Vertrauensverhältnis steht im Vordergrund. Kritik an Handlungsweisen von Informant/inn/en, insbesondere medizinischer Expert/inn/en, ist in ethischer Hinsicht gerechtfertigt, wenn sie sachlich formuliert ist und sich auf institutionelle Praktiken bezieht. Die an der Forschung beteiligten Personen dürfen persönlich dadurch nicht zu Schaden kommen. Der Rückfluss der Forschungsergebnisse in einer angemessenen Form soll sichergestellt werden. Die Forscherin, der Forscher sollte bereit sein, die Forschungsergebnisse mit den Personen, die an der Forschung beteiligt waren, zu diskutieren.

 

Verantwortlichkeit gegenüber Mitarbeiter/inne/n

Gegenüber Projekt-Mitarbeiter/inn/en sollte klar gestellt werden, dass keine Forschungstätigkeit deren physische und psychische Gesundheit beeinträchtigen darf. Im Zweifelsfall ist die subjektive Einschätzung der Mitarbeiter/innen entscheidend. Einvernehmlich ist in einem solchen Fall nach Techniken zu suchen, um das Forschungsziel dennoch zu erreichen. Der Forschungsbeitrag von Mitarbeiter/inne/n soll angemessen kenntlich gemacht werden.

 

Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst

Sich selbst gegenüber besteht die Verantwortung, keine Forschungen durchzuführen, welche die eigene physische und psychische Gesundheit gravierend beeinträchtigen. Sollte sich im Forschungsverlauf herausstellen, dass es zu solch ernsthaften Gefährdungen kommen könnte, kann die Verantwortlichkeit sich selbst gegenüber ein ernst zu nehmender Grund dafür sein, die Forschung abzubrechen.

 

Verantwortung gegenüber der Forschungsgemeinschaft

Jeder Forschungsantrag sollte einen Abschnitt zu ethischen Implikationen der Forschung enthalten. Die Verantwortung gegenüber dem Fach Ethnologie als wissenschaftlicher Gemeinschaft schließt die Einhaltung guter wissenschaftlicher Praxis im Sinne der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit ein. Es ist zu gewährleisten, dass eigenes Verhalten nicht die Möglichkeiten nachfolgender Forscher/inn/en beeinträchtigt. Die Forscher/innen tragen Sorge für den Umstand, dass die Ergebnisse, so weit wie möglich, anderen Forscherinnen und Forschern zugänglich gemacht und für nachfolgende Forschungen bewahrt werden. In ethischer Hinsicht relevante Resultate sollten nicht unterdrückt oder verschwiegen werden. Sollten Kolleg/inn/en ein Gespräch aufgrund eigener Verunsicherung über den ethischen Standard ihrer Forschung suchen, sollte ein Ethnologe / eine Ethnologin sich für eine kollegiale, vertrauliche Supervision bereit zeigen.

 

Verantwortlichkeit in der Lehre

In der Lehre bedeutet Verantwortlichkeit, dass ethische Herausforderungen medizinethnologischer Forschungen einen umfangreichen Platz im Curriculum einnehmen und Studierende für Ethik besonders sensibilisiert werden. Bei Forschungen, an denen Student/inn/en teilnehmen, ist deren Beitrag anzuerkennen und angemessen kenntlich zu machen.

 

Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit

Der Öffentlichkeit gegenüber ist Verantwortung dafür zu übernehmen, dass Forschungsergebnisse gewissenhaft und wahr dargestellt werden. Bei politischen Auseinandersetzungen beruht es auf der individuellen Entscheidung der Person der Forscherin oder des Forschers, ob sie für bestimmte Positionen aktiv Stellung beziehen will oder nicht.

 

Verantwortlichkeit gegenüber Auftraggeber/inne/n

Geldgeber/inne/n, Stiftungen und Auftraggeber/inne/n gegenüber werden viele Verhaltensweisen und Verpflichtungen bereits durch die ethischen Implikationen des Vertragsrechtes vorgegeben. Die Qualifikationen des Forschers / der Forscherin und seiner Mitarbeiter/innen sind wahrheitsgemäß darzustellen. Ziele der Auftraggeber/innen sollten vor Vertragsabschluss besprochen und hinsichtlich ihres ethischen Standards und ihrer Durchführbarkeit überprüft werden.
Verabschiedet am 11. Februar 2005 in Basel
(Die Vorlage wurde erstellt von Stefan Ecks und Elsbeth Kneuper)