AG Medical Anthropology

Juni 2002 / Bonn

Bonn, 1. Juni 2002

Workshop: „Religion und Medizin (II)“

Der Workshop in Bonn vom 1. Juni 2002 gilt der Auswertung des Panels „From Religion to Medicine – and Back Again?“, das die AG Medical Anthropology an der DGV Tagung 2001 in Göttingen veranstaltete. Dabei wollen wir auf den Vorarbeiten unserer AG aufbauen und nicht etwa hinter das bereits Erreichte zurückfallen. Zu Beginn des Workshops geben Hansjörg Dilger und Brigit Obrist eine rückblickende Einführung, die die anderen AG Mitglieder ergänzen können. Hier sollen nur wichtige Stationen des bereits gegangenen Weges in Erinnerung gerufen werden.

Der Ausgangspunkt unserer Beschäftigung mit diesem Thema war der Aufsatz von Susan Reynolds Whyte (1989) „Anthropological Approaches to African Misfortune: From Religion to Medicine“. In diesem Aufsatz geht Reynolds Whyte der Frage nach, welchen Unterschied es macht, ob man Antworten auf Unglück in Afrika im Rahmen von Religion(sethnologie) oder von Medizin(ethnologie) untersucht? In einem Vorbereitungs-Workshop in Berlin (siehe Protokoll vom 4. März 2001) diskutierten wir diesen Aufsatz und setzten ihn in Beziehung zu anderen theoretischen Zugängen zum Thema von Csordas (1987), Pool (1994) und Kleinman (1995).

Dabei stießen wir auf vier miteinander verflochtene Felder:

1.Sichtweisen, die Gemeinsamkeiten betonten, etwa das empirische Feld,

2.Ansätze, die die Konstruktion religiöser und medizinischer Zuständigkeiten kritisch reflektierten,

3.den beiden Subdisziplinen übergeordnete theoretische Neuorientierungen, die zu einem neuen Verhältnis zwischen Religions- und Medizinethnologie führen, etwa der „social suffering“-Ansatz von Kleinman, oder genereller die Ergänzung der systemtheoretischen mit einer handlungstheoretischen Perspektive, und

4.in den Bereichen Moral und Ethik und deren Verbindung zu Politik im weitesten Sinne zeichnet sich eine Überschneidung der beiden Kontexte ab.

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Diskussion nahm Hansjörg Dilger dann in seiner Einführung zum Panel der AG Medical Anthropology in Göttingen wieder auf und leitete sie mit einem historischen Rückblick ein: Während sich die im 19. Jahrhundert in Europa und den USA eingeleitete Medikalisierung des Lebens sich noch Mitte 20. Jahrhundert weiter intensivierte, erkennt man Ende des 20. Jahrhunderts zunehmend die Grenzen der Biomedizin. Das heute wieder geweckte Interesse am Verhältnis von Religion und Medizin in der Ethnologie spiegelt diesen Perspektivenwechsel in Europa und den USA. Daran schlossen sich vier Vorträge an, die sowohl inhaltlich wie geographisch einen großen Bogen spannten: von der Magie in der Biomedizin in Europa (Els van Dongen), über den Wandel von Paradigmen in der Geschichte unseres Fachs am Beispiel von Deutsch Ost-Afrika (Walter Bruchhausen), und einem performativen Ansatz in der Untersuchung von Besessenheitskulten in Indien (Elisabeth Schömbucher-Kusterer), bis hin zur Frage nach dem Einfluss des Buddhismus auf biomedizinisch geschulte Ärzte in Thailand (Peter Kaiser). Das breite Spektrum der in diesen Referaten angesprochenen Aspekte wies eindrücklich darauf hin, dass wir immer wieder neu fragen müssen, was „Religion“ und „Medizin“ im jeweiligen historischen und geographischen Kontext bedeuten.

Mehr noch, wir müssen untersuchen, wie das Verhältnis zwischen diesen Konzepten in unterschiedlichen historischen, geographischen und politischen Räumen und Kontexten ausgehandelt wird, wie Brigit Obrist in ihrer Zusammenfassung des Panels ausführte.

Diese Einsichten werden wir im Workshop in Bonn weiter vertiefen. In Impulsreferaten und anschließenden Diskussionen verfolgen wir drei Ziele:

1.eine sorgfältige Reflexion und Diskussion der Begriffe „Religion“ und „Medizin“ und der ihnen zugrundeliegenden Konzepte (inkl. Ihrer historischen und kulturellen Verortung)

2.eine kritische Schärfung des Blicks für die Unterscheidung zwischen Perspektiven, die einerseits einen biographischen Fokus haben und untersuchen, wie Akteure das Spannungsfeld von „Religion“ und „Medizin“, bzw. „Glaube“ und „Wissen“ in spezifischen Situationen verarbeiten; und zum anderen die Interaktion zwischen den Systemen im sozialen – genauer im historischen, und ökonomischen – Umfeld verankern.

3.Diskussion einer gemeinsamen Publikation und Planung konkreter Schritte (z.B. Buch-proposal)


Programm
(mit Impulsreferaten 15 Min. + ca. 20 Min. Diskussion)

9.00 9.30 Rückblick auf Göttingen und Perspektiven des heutigen Tages. Brigit Obrist und Hansjörg Dilger
Moderation: Hansjörg Dilger
9.30 – 10.10 Lilo Roost Vischer. Zur Bestimmung des Religionsbegriffs in der Ethnologie.
10.10 – 10.50 Walter Bruchhausen. Religionsbegriffe in der Theologie.
10.50 – 11.30 Kaffee- und Teepause
Moderation: Walter Bruchhausen
11.30 – 12.10 Yvonne Adam. Empirische Tradition oder der Unterschied zwischen Glauben und Wissen.
12.10 – 12.45 Brigit Obrist. Glauben an Wissen: eine Akteur-Perspektive aus Dar es Salaam.
12.45 – 14.15 Mittagspause
Moderation: Brigit Obrist
14.15 – 14.55 Walter Bruchhausen. Islamisierung und medikale Nischen-Bildung: Heilung durch Geister im Südosten Tanzanias.
14.55 – 15.35 Lilo Roost Vischer. Religiöse Heilung in Westafrika.
15.35 – 16.15 Hansjörg Dilger. Ökonomien der Heilung in vergleichender Perspektive: Beispiele aus den USA und Ostafrika.
16.15 – 16.45 Kaffee- und Teepause
16.45 – 17.00 Brigit Obrist. Ausblick: Zusammenfassung und Formulierung von Zielen.
17.00 – 18.30 Abschlussdiskussion